Kurzfassung eines idealtypischen Stadtkonzeptes
Im Sommer und Herbst 1992 wurde eine erste Form des
idealtypischen Konzeptes einer ökologisch und sozial
orientierten Stadt in der Mark Brandenburg erarbeitet und
seitdem ständig fortentwickelt. Der folgende Text ist eine
verdichtete und gekürzte Fassung dieses Konzeptes auf dem Stand
des Januars 1994. Wir verstehen die so niedergeschriebenen Ideen
als im Fluß. Vor allem wird nach der Entscheidung des Standortes
die Aufnahme der vorgefundenen Gegebenheiten sowie die
Anregungen der bereits dort Ansässigen (der "Genius Loci")
Eingang in eine Überarbeitung des Konzeptes finden.
Wir anerkennen die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen und
fühlen uns verpflichtet, uns in unserer Welt so zu verhalten,
daß nachfolgende Generationen bessere Lebensbedingungen
vorfinden. Daraus ergibt sich für uns der Grundsatz, sparsam mit
Rohstoffen und behutsam mit der Welt umzugehen. Im Einklang mit
der Natur schaffen wir uns dadurch ein Leben voll Reichtum und
Schönheit.
Die einmal entwickelte und gebaute ÖKOSTADT wird Merkmale
tragen, die ihre ökologische und soziale Orientierung
ausdrücken. Die jeweils folgenden Stichworte dienen zur
Verdeutlichung unserer Vorstellungen.
Stadt der Vielfalt
Die meisten Menschen wohnen hier nicht nur, sondern finden oder
schaffen sich hier ihren Arbeitsplatz. Der sozialen Vielfalt
entspricht ein Klima der Toleranz und des Friedens, der Ruhe und
Gelassenheit. Die Menschen in der ÖKOSTADT anerkennen ihre
Verantwortung für das Gemeinwesen. Die Stadt bietet vielfältige
Orte der Begegnung und Raum für Gemeinschaften aller Art.
Konflikte werden durch vermittelten Interessenausgleich (z.B.
Mediation) gelöst.
Stichworte: Vielfalt der sozialen Gruppen, Anschauungen,
Religionen, Gewohnheiten, Lebensbereiche, Gefühle, Kulturen,
Geschäfte, Freizeitangebote, Sportstätten, der Pflanzen und
Tiere, Ausgewogenheit von Möglichkeiten der Selbstverwirklichung
und der gegenseitigen Unterstützung.
Stadt des behutsamen Wachstums
Die Entwicklung der Stadt und die Errichtung der Neubauten
geschehen in Stufen, die sich jeweils über zwei bis drei Jahre
erstrecken. Immer wieder nehmen die derzeitigen und zukünftigen
Einwohner Einfluß auf die Planung und gestalten so ihre Stadt
selbst. Die gesammelten Erfahrungen und neue Ideen findet stets
Eingang in die nächsten Entwicklungsstufen.
Stichworte: Einflußnahme der Bewohner durch Quartiersbeiräte,
die ein Mitbestimmungsrecht ausüben, durch Foren,
Bürgerversammlungen, Vorträge, Diskussionen, Ausstellungen,
möglichst weitgehende Erfüllung des gesamten Anspruchs in jeder
Entwicklungsphase, Eigenbeiträge zu Errichtung oder Ausbau der
eigenen Wohnung (nicht nur bei Eigentum), Arbeitskreis mit
Stadt, Kreis und Land zur Abstimmung der gegenseitigen
Erwartungen, Wünsche und Entwicklungsbeiträge.
Stadt der Überschaubarkeit
Die Stadt ist klar in Stadtteile und kleinräumige
Nachbarschaften gegliedert. Dabei durchmischen sich die
städtischen Funktionen von Wohnen, Arbeiten, Alltag und
Freizeit. Die phantasievolle Architektur und Stadtgestalt
ermöglichen eine leichte Identifikation mit dem Wohn- und
Arbeitsumfeld.
Stichworte: Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitarbeit in Belangen
der Nachbarschaften, Runde Tische, charakteristische Farben und
Pflanzanlagen im Stadtbild, unverwechselbare Plätze, Denkmale,
"Kunst an der frischen Luft", Begegnungsorte (Cafés, Biblio- und
andere Theken, Waschküchen, Studios für Musik, Foto, Malerei
u.a., Spielräume)
Stadt des geringen Landverbrauchs und der kurzen Wege
Die kleinräumige Funktionsdurchmischung und polyzentrische
Stadtstruktur verkürzt die individuellen Wege. Die Stadt ist
kompakt und gleichzeitig reich an öffentlichem und privatem
Grün. Die mittlere Einwohnerdichte beträgt 50 Ew/ha, die Gebäude
sind im Durchschnitt zweigeschossig. Die Höhe der Bäume bestimmt
die maximale Gebäudehöhe.
Stichworte: Vorzug von zweigeschossigen Reihenhäusern mit
Gärten/öffentl. Grün nach holländischem Muster (bis zu 200 Ew/ha
netto), klare Abgrenzung der Stadt nach außen (Vorgaben des
Bebauungsplans), Schutz der angrenzenden freien Natur
(Landschaftsschutz, Landwirtschaft), Kontrolle der Vorgaben
(Umfragen, Erhebungen u.a.), Verteilung der städtischen
Dienstleistungen wie Ärzte, Geschäfte, Recyclinghöfe oder Ämter
auf eine Zahl fußläufig erreichbarer Stadtplätze.
Stadt der Naturnähe
Die Stadt durchziehen neben gestalteten und gepflegten
Grünflächen Züge wilden Grüns. Die Orte des Wohnens und
Arbeitens sind inniglich mit naturnahen Grünbereichen
durchwoben. Die klare Abgrenzung der Stadt nach außen ermöglicht
jedem die schnelle Erreichung der freien Natur und des Umlands.
Stichworte: Vernetzung der Grünanlagen miteinander und mit dem
Außenraum, Vorzug einheimischer Pflanzen, Schaffung vielfältiger
Biotope (Teich, Bach, Langgraswiesen mit einjähriger Mahd,
dichte und lockere Gehölze, Hecken, Trockenmauern, Grasdächer,
grüne Fassaden), naturnahe Lösungen technischer Fragen (Bäume
statt Klimaanlagen).
Stadt des umweltfreundlichen Bauens
Die Materialien für Neubau und Sanierung der bestehenden
Bausubstanz werden nach ökologischen und baubiologischen
Kriterien ausgewählt. Lehm, Holz, Ziegel, Glas, Pflanzen- und
Tierfasern fördern das Wohlbefinden und die Gesundheit.
Stichworte: Öko-Checkliste für Baustandards in den Bereichen
Baustoffe (Transportaufwand, Energiegehalt, Recyclebarkeit,
baubiologische Bewertung), Heizung/Energie (Niedrigenergie-bauweise,
Verschattungsfreiheit), Wasser, UVP für Neubauten (welche
Biotope verschwinden oder entstehen, Bepflanzungsplan), "Gebäude
zum Wohlfühlen", Bezahlbarkeit (Eigenleistung/Selbsthilfe).
Stadt der Fußgänger und Radfahrer
Die meist kurzen Wege sind leicht zu Fuß oder mit dem Rad zu
bewältigen. Private Pkws sind dabei überflüssig und bleiben
daher am Rand der Stadt zurück. Der Wirtschafts- und öffentliche
Nahverkehr nimmt Rücksicht und ist nachrangig.
Stichworte: Verkehrsraumgestaltung für Fußgänger, beschildertes
Radwegenetz, Fahrstraßen für Einsatzfahrzeuge, wirksames
Parkverbot für private Pkws (Ausnahmen für Behinderte o.ä.),
zeitl. Eingrenzung des Wirtschaftsverkehrs, grundsätzlich
Schrittempo, auf Haupterschließungsstraßen Tempo 30,
Solarmobile, umweltfreundlicher ÖPNV, Car-Sharing-Systeme,
Parkplätze am Rand des Siedlungsgebietes, Straßen reich an Grün
und Begegnungsräumen (Parkbänke, Spielplätze, Rückzugsräume für
Kinder und Jugendliche, Blumengärten).
Stadt des geringen Energieverbrauchs
Optimale Wärmedämmung, passive und aktive Nutzung der
Sonnenenergie und anderer regenerativer Energiequellen
reduzieren den Bedarf an fossilen Energieträgern erheblich. Die
Emissionen an Kohlendioxid, Stickoxiden, Schwefeldioxid, Ruß und
Staub betragen nur 20 % derer einer konventionellen Stadt
gleicher Größe.
Stichworte: Vorrang von Einsparung (Wärmedämmung,
energiesparende Geräte in Haushalt und Beruf, Energieberatung
für Bauherrn und für den Alltag), Sonnenenergienutzung (große
Fenster/Wintergärten nach Süden, kleine/keine Nordfenster,
Sonnenkollektoren, Solarzellen, Wärmeabstrahlschutz durch
Bepflanzungen, Mauern, Vordächer), regenerative Energien
(Windräder, Biomüllvergärung, Holzhackschnitzelverwendung),
Niedrigtemperatur-Nahwärmeversorgung aus Blockheizkraftwerken,
beispielhaft niedrige Emissionsrichtwerte für Heizanlagen,
"Least-cost-planning".
Stadt des verantwortungsbewußten Umgangs mit Wasser
Durch Einsparung und Regenwassernutzung werden nur ca. 40 % des
Trinkwassers einer vergleichbaren Stadt gebraucht. Grauwasser
wird weiterverwendet oder wie Schmutzwasser überwiegend in
Pflanzenkläranlagen gereinigt.
Stichworte: Vorrang von Einsparung (Perkollatoren, Stoptaste am
Spülkasten, Wasseruhren für jede Wohneinheit), Regen- und
Grauwassernutzung (u.U. nach Reinigung durch Wurzelraumanlage am
Haus oder auf dem Grundstück), Komposttoiletten, geringe
Bodenversiegelung und gezielte Versickerung von Regenwasser,
angemessene Grüngestaltung, naturnahe Abwasserentsorgung
(Pflanzenkläranlagen in der Nähe), Wasserberatung,
Öffentlichkeitsarbeit, "Least-cost-planning".
Stadt des verantwortungsvollen Umgangs mit Abfall
Die Stoffkreisläufe in der Stadt sind weitgehend geschlossen.
Unvermeidbarer Abfall wird so weit als möglich recyclet. Der
verbleibende Rest von weniger als 25 % einer vergleichbaren
Stadt wird in der Nähe umweltfreundlich deponiert.
Stichworte: Vorrang von Vermeidung (Aufklärung, Produktbewertung
durch Ökobilanzen, Pfandsysteme für Verpackungen),
Weiterverwendung (Flohmarkt, Altkleider), praktikable
Abfalltrennung (organische Anteile, Plastik, Wertstoffe wie
Glas, Holz, Papier, Metalle), stoffliche Verwertung.
Stadt der ökologisch und sozial orientierten Wirtschaft
Die in der Stadt tätigen Betriebe verwirklichen weitestgehende
Umweltfreundlichkeit. Unter Einbindung örtlicher Potentiale
entstehen als Kollektive oder Genossenschaften zahlreiche
kleinere und mittlere Betriebe. Dabei entwickelt sich eine
ausgewogene Mischung von produzierendem Gewerbe,
Dientleistungsunternehmen und Verwaltung.
Stichworte: Orientierung an lokalen Bedürfnissen und Ressourcen,
nachhaltige lokale Ökonomie, kleine und überschaubare Betriebe,
sozialverträgliche Eigentumsformen, Liste von Umweltstandards in
den Bereichen Energie/Emission, Wasser, Abfall, betriebliche
Umweltberatung, Öko-Audit, Marketingunterstützung neuer Produkte
und Ideen.
Stadt der ökologisch orientierten Versorgung
Durch private Kleingärten und Grabelandparzellen für jeden, der
es wünscht, und Biobauern wird die Stadt weitgehend aus der
Region versorgt. Viele Güter und die meisten Dienstleistungen
werden in der Stadt oder der näheren Umgebung produziert.
Stichworte: Lehrgarten, Kurse/Betreuung (ökologische Akademie),
sanfter Druck, biologisch zu gärtnern, Direktvermarktung,
Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften (auch jenseits von
Landwirtschaft), Food-Coops, Second-hand-Läden, Tauschhandel,
Lieferverträge zwischen Läden und nahen Biobauern, Wochenmarkt,
Verkauf loser Waren.
Stadt des gesunden Lebens und der umfassenden Heilung
Jeder erkennt die eigene Verantwortung für seine Gesundheit.
Heilung geschieht nebeneinander und sich ergänzend auf
alternative und konventionelle Art in einer Atmosphäre, die
heilend und harmonisierend wirkt und so die Gesundung
unterstützt. Dabei verstehen die Menschen in der ÖKOSTADT
Heilung in einem erweiterten Sinne, der die Überwindung der
anthropozentrischen Sichtweise und der Herrschaft des Menschen
über die Natur einschließt.
Stichworte: ÖKOSTADT ist ein Beitrag zur Heilung des
Verhältnisses von Mensch und Natur, Gesundheit in jeder Hinsicht
(körperlich, seelisch, geistig, sozial, intellektuell) ist der
Normalzustand, Raum für andere Heiltraditionen (z.B. Shiatzu,
Massagen, Körperarbeit, Naturheilverfahren, Kristalle),
Heilzentrum.
Stadt des Lernens und der Forschung, der Bildung und Kultur
Die Einwohner der Stadt schaffen sich und finden vielfältige
Möglichkeiten des Lernens und der eigenen Entwicklung. Sie
begreifen sich als ein Teil der Gesamtheit und leben im Einklang
mit der Natur. Bildung und Kultur drücken diese Orientierung der
Menschen aus und bieten Raum für ihre Entfaltung. Es ergeben
sich damit auch Ansätze und Ziele für eine neue Technologie.
Stichworte: Raum und Möglichkeiten für eigene Aktivitäten,
integrative Schulmodelle, Versammlungs- und Unterrichtsräume
(Akademie), Werkstätten (Kleinkunst, Theater), Kino,
Ausstellungsräume/Galerie, Bildungsangebote, Festivals,
Lesungen, Forschungs- und Entwicklungsfelder (Modellprojekte,
Labors, Symposien), Führungen und Wanderungen, Raum für geistige
Gemeinschaften und ihre Rituale, Institut für sanfte
Technologien.
Das wichtigste sind die Menschen,
ihre Träume, ihre Ideen, ihre Phantasie, ihre Talente, ihre
Fähigkeiten, ihr Engagement, ihre Geduld, ihre Energie und ihr
Geld. Die Menschen in der Stadt wollen und bekennen sich zu
Frieden, Toleranz, Eigenverantwortlichkeit und schaffen sich
damit ein erfülltes Leben.
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